Warum ich Vögel lieber ohne Fernglas beobachte
Sieht man (Hobby-)Ornithologen in freier Wildbahn, schmückt sie meist auch ein Fernglas - in der Fachsprache Binokular genannt. Wie meine eigenen (wenigen) Erfahrungen damit bisher waren, und warum ich Vögel lieber ohne beobachte, erzähle ich dir in diesem Beitrag.
In meinem vorigen Text konntest du lesen, wie es ganz unspektakulär dazu kam, dass in mir irgendwie ein Fenster für Wildvögel aufgegangen ist. Genau kann ich es mir bis heute nicht erklären - sie haben ganz unmerklich einen Platz in meinem Herzen eingenommen.
Seitdem war das Interesse geweckt, und ich habe in wunderschönen, und auch ganz alltäglichen Umgebungen schon viele Vogelarten wahrnehmen dürfen: Wildgänse in Südschweden (an die ich besonders gerne zurückdenke), Haubentaucher in Bayern oder Neuntöter im Oberbergischen.
Zwei Menschen zähle ich zu meinen "Vogelmentoren". Sie haben einfach ein sehr großes Wissen, und ich weiß, wenn ich mal wieder einen neuen Vogel entdeckt habe, den ich nicht zuordnen kann, haben sie große Freude, mit zu überlegen.
Mit Claudia habe ich mich vor kurzem zu einem Sonnenaufgangs-Vogel-Spaziergang verabredet. Wo könnten zwei Naturfreunde dem Rosenmontag besser entfliehen, als im Wald? Sie brachte auch zwei Ferngläser mit - eines für sich, und eines, das ich mal ausprobieren durfte. Meine bisherigen Erfahrungen diesbezüglich beschränkten sich auf ein Kinderfernglas, und später mal eines von Tchibo. Ja, es war schon toll, die Vögel dadurch sehr nah sehen zu können, aber so richtig warm war ich damit nie geworden. „Das wird sich bestimmt ändern, wenn ich ein vernünftiges Fernglas nutze“, dachte ich - noch dazu mit fachkundiger Begleitung.
Um es kurz zu machen: Es war auf jeden Fall eine andere Qualität als die Ferngläser, die ich vorher kannte. Und wenn ich einen der quirligen Sänger mit dem Hilfsmittel erwischt hatte, konnte ich ihn natürlich auch viel besser erkennen.
Claudia fragte am Ende, wie es mir mit dem Fernglas gefallen hatte, und ob ich mir vorstellen könnte, ein eigenes zu kaufen, denn wir hatten auch über Beschaffung, Preis-Leistungs-Verhältnis etc. gesprochen. Die Erfahrung war noch frisch und ich konnte sie noch nicht so ganz für mich greifen, weshalb ich so etwas sagte wie "Ja ... !? Ich kann es mir grundsätzlich schon vorstellen. Ich hatte noch ein bisschen Schwierigkeit mit dem Einstellen, ich werd die Eindrücke mal sacken lassen."
Tatsächlich hatte sich diese Erfahrung erst etwas später in mir gesetzt und ich konnte sie greifen und vielleicht das erste Mal in Worte fassen, warum ich mit Ferngläsern nie wirklich warm geworden war:
Warum ich Vögel lieber ohne Fernglas beobachte
Zum einen ist da etwas Künstliches zwischen dem Vogel und mir, das meine Gesamtwahrnehmung beeinträchtigt. Durch das nahe Heranholen bin ich auf den einen Eindruck fokussiert (beschränkt). Wie aber ist der Gesamteindruck rund um den Vogel?
Er ist Teil einer Gesamtkomposition, in der er sich mit allem, was er hat, einbringt: Seiner Stimme, seinem Flugbild, dem Platz, an dem ich ihn entdecke (oder vermute). Nehme ich ihn auf einem Ast sitzend wahr, oder am Ufer eines Gewässers? Welche Bäume umgeben ihn, lassen ihn hervortreten wie den Hauptdarsteller in einem Gemälde? Nehme ich weitere Vögel wahr?
All das möchte ich im Gesamten wahrnehmen. Das Ganze auf mich wirken lassen und fassen, statt künstlichen Fokus anzuschauen. Klar höre ich ihn auch singen, wenn ich ihn durch das Fernglas beobachte. Klar kann mir vorher oder nachher auch die Umgebung anschauen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass es das, was wahrzunehmen gibt, auseinander reißt. In kleine Einzelteile verstreut, die das Gehirn anschließend wieder zusammenfügen muss.
Ich möchte die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen, denn dafür sind wir gemacht. Möchte den Wind auf meiner Haut spüren, während mein Blick entspannt umherschweift oder an einem bestimmten Punkt ruht. Möchte alles hören, was es in dem Moment rund um mich zu hören gibt. Möchte riechen, wenn mir der Wind einen Hauch von Kiefer oder Weißdorn in die Nase weht.
All das geht nicht, wenn ich mich nur auf einen Sinn beschränke und meine Aufmerksamtkeit spitz und nur nach vorne gerichtet durch eine Art Tunnel lenken. Fokus blendet aus, und das kann hier und da wirklich hilfreich sein. In der Natur möchte ich ihn ausschalten. Denn wie schade wäre es doch, wenn genau in dem Moment, in dem du durch dein Fernglas eine Tannenmeise beobachtest, der Vogel an dir vorbeifliegt, den du immer schon einmal sehen wolltest ...
Dieses war der eine Aspekt, der mich Vögel lieber frei beobachten lässt. Es gibt noch einen weiteren, der viel schneller beschrieben, aber vielleicht sogar wertvoller ist:
Ein Fernglas schafft immer eine künstliche Nähe, die es so, wie es von der Natur vorgesehen ist, nicht gibt.
Wenn mir ein Vogel nah begegnet, dann weil es sein freier Wille ist und er sich mir vielleicht zeigen möchte, oder ich in dem Moment eine friedliche Absicht für ihn ausstrahle und er mir vertraut.
Das ist dann ein großes Geschenk. Das sind wahre Naturbegegnungen für mich.
Gedanken
Ist „Birdwatching“, wie es landläufig betrieben wird und in den letzten Jahren ein regelrechter Sport geworden ist, vielleicht ein weiterer Ausdruck des Menschen, sich die Natur aneignen zu wollen, anstatt sie sein zu lassen und mit ihr zu sein?