Gedankenpost

Gedankenpost Nr. 2
Gefühle wahrhaftig fühlen - Augen auf und durch

Vor Kurzem machte ich selbst mal wieder eine Erfahrung, die ich gerne erzählen möchte. Ich hatte mich Anfang August für einen Saisonjob ab Oktober beworben. Ich hatte die Anzeige gesehen und es hatte sich direkt so stimmig angefühlt, dass ich dachte, das könnts sein! Bedingt durch Ferien- und Urlaubszeit musste ich bis Anfang September warten, um mit der entsprechenden Mitarbeiterin einen Termin für Kennenlernen und Probearbeiten zu vereinbaren (so weit war ich schon). Kurz darauf war es dann soweit und es hieß bei der Verabschiedung, man könne sich eine Zusammenarbeit grundsätzlich vorstellen, ich solle gerne noch eine Nacht darüber schlafen und dann am nächsten Tag per Mail Bescheid geben, wie ich mich entschieden hätte. Das tat ich und plante in Gedanken schon weitere Schritte wie beispielsweise eine Wohnmöglichkeit, da es in einer anderen Ecke von Deutschland gewesen wäre.

Eine Woche nach meiner Mail bekam ich - für mich unerwartet - eine Absagemail. Weder möchte ich die Firma schlecht machen, noch den Fokus dieser Gedankenpost auf den Bewerbungsprozess legen, von dem ich nur das Wichtigste erwähnt hatte. Vielmehr möchte ich mit euch teilen, durch welchen kurzen, aber intensiven Prozess ich nach der Nachricht gegangen bin und wie ich mit so etwas umgehe. Es ist einfach sehr schön, auch mal „unangenehme“, herausfordernde oder unschöne Erfahrungen zu machen, können wir uns in solchen Momenten doch noch besser kennenlernen: Was triggert mich? Welcher Teil liegt bei mir, welcher bei der anderen Seite? Oder anders gesagt: Was ist mein Thema in der Situation, und was ist vielleicht eher Thema des Gegenübers und hat gar nichts mit mir zu tun? Und auch so spannende Beobachtungen wie: Gehe ich mit dieser herausfordernden Situation vielleicht inzwischen anders um, als ich es noch vor ein paar Jahren getan hätte? Sprich, erkenne ich meine Weiterentwicklung? (--> freuen!)

Ich jedenfalls las die Mail bei einem kurzen abendlichen Spaziergang. Allein beim Öffnen des Posteingangs war für mich schon klar, was in der Mail stehen würde: „Vielen Dank für deine Bewerbung“ stand im Betreff. In der Mail dann die Absage. Es war wie ein Schlag vor den Kopf, weil es sich zuvor alles ganz anders abgezeichnet hatte (jedenfalls meinem Empfinden nach). In zwei Wochen sollte es losgehen und nun überschlugen sich gerade die Gedanken: „Ok, habe ich nicht genügt? An welchen Stellen könnte ihnen etwas nicht gefallen haben? Habe ich eine verfälschte Wahrnehmung gehabt, es mir zu schön geredet?“



Es fühlte sich an, als würde gerade ein Kartenhaus zusammenstürzen und in mir kam der Impuls zu weinen. Ich ließ es zu und tat mir in dem Moment selbst ziemlich leid. Ich finde es wichtig, alle Gefühle zuzulassen, die in herausfordernden Situationen kommen. Aus meiner Erfahrung ist es zudem hilfreich, lieber einmal ganz tief und intensiv in das Gefühl hineinzugehen, es komplett zu fühlen, ganz gleich, wie es sich zeigen mag, als es zu unterdrücken. Es ist sehr viel heilsamer und auch nachhaltiger. Einfach mal so richtig schön ins Kissen zu heulen, sich für einen kleinen Moment wie der ärmste Mensch der Welt fühlen. Ja, das ist ok! Solange daraus keine Dauerhaltung wird und man in die Opferrolle rutscht („alle anderen sind Schuld, ich bin so arm, ich kann ja nichts dafür“ usw.). Aber seine Gefühle echt und authentisch zu fühlen und zuzulassen ist absolut legitim, und meiner Meinung nach ist alles andere nur ein Umweg.

Anders ausgedrückt: Wenn wir bereit sind uns dem Gefühl, das gerade hochkommt, voll hinzugeben, es einmal kurz aber heftig voll zu durchleben, ist das die Abkürzung und wir sind einen ganzen Schritt weiter.

Hab keine Angst vor deinen eigenen Gefühlen - sie wahrhaftig zu fühlen und da durchzugehen -, denn du wirst nur das fühlen, was du gerade wirklich zu fühlen bereit bist. Manches ist noch nicht dran, und das wird sich dann auch nicht zeigen. Kleine Ermunterung aus eigener Erfahrung: Ich hab sogar den Eindruck, dass es meinem Körper, meiner Seele - wem oder was auch immer - ab einem gewissen Punkt einfach auch zu anstrengend wird, in diesen intensiven traurigen Gefühlen zu bleiben. Die anschließend einsetzende, kopfleere Erschöpfung ist so angenehm und wird dankbar angenommen. ;) Es ist dann so, als sei die Sache gerade einfach „durch“, als sei alles gefühlt, was in dem Moment gefühlt werden wollte, und das eigene System kommt wieder zur Ruhe.


Aus der Vergangenheit wusste ich, dass solche Art Niederschläge bei mir nie lange anhalten (vielleicht gerade WEIL ich einfach alles zulasse, was sich in mir zeigen mag, und ich intensiv da durch gehe?). Spätestens am nächsten Tag sieht die Welt normalerweise schon wieder ganz anders aus und in der Regel setzt auch zeitnah pragmatisches Tun ein: „Ok, die Lage hat sich kurzerhand verändert. Die Karten sind neu gemischt, alles auf Null. Wie kann es nun weitergehen?“ Und dann nicht zu lange drüber nachdenken, sondern den Impulsen folgen und ins Handeln kommen. In meinem Fall ganz konkret nach einer anderen Jobmöglichkeit suchen.

Was ich auch inzwischen immer besser kann ist für mich nochmal reinzuspüren, was ich oben schon erwähnt hatte: Ist das grad mein oder dein Thema? Was an der Situation ist mein Thema? Also wo habe ich vielleicht dazu beigetragen, dass es sich so entwickelt hat, wie es ist? Oder auch zu schauen, welche alten Glaubenssätze oder Muster durch so eine Abweisung (denn so hatte es sich für mich angefühlt) aktiviert werden? Aber auch für sich zu erkennen, wo man in sich klar und aufrichtig war, und wo es vielleicht auch das Thema der anderen Seite gewesen sein könnte.

Und dann ist es ganz wichtig, nicht weiter zu hadern. Sich nicht weiter zu ärgern, Groll zu hegen oder am Frust festzuhalten. „Annehmen, was ist“ ist ein viel gesagter und inzwischen auch etwas abgegriffener Satz, aber diese Haltung kann uns das Leben so viel leichter machen.

„Annehmen, was ist“ bedeutet nicht zu resignieren, sondern die Dinge so stehen zu lassen, wie sie nunmal sind, und dann aber auch weiterzugehen.

„Loslassen“ ist mindestens genauso viel zitiert in der heutigen Zeit, und es ist definitiv ein ganz großer Schlüssel zu mehr Zufriedenheit. An etwas festzuhalten, das keinen Bestand (mehr) hat, bindet so viel Energie und blockiert uns komplett. Umso befreiender kann es sein, wenn man wirklich loslässt und nach vorne blickt.

Und so kann ich die gemachte Erfahrung so stehen lassen, zwar etwas irritiert, aber ok damit. Alles hat einen tieferen Sinn im Leben, und es sollte sicher genau so kommen, wie es gekommen ist. Es fühlt sich sogar so an, als würde durch die Absage der Weg für etwas ganz anderes, viel Schöneres freigemacht. Nur, dass ich es noch nicht ganz sehen kann. Aber Wege entstehen ja bekanntlich dadurch, dass wir sie gehen ...

Alles Liebe

Britta


Hier kannst du die anderen Ausgaben nachlesen:

Gedankenpost 1: Orte für sich entdecken

Gedankenpost 3: Wertschätzendes Miteinander auf Augenhöhe